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Beförderungserschleichung - § 265a StGB abschaffen oder ganz abschaffen?

Pro- und Contra Entkriminalisierung § 265a

Fakten zur Beförderungserschleichung:

  • Die Verkehrsbetriebe beziffern den Schaden, der jährlich durch das Fahren ohne Fahrschein entsteht, auf einen Betrag von 250 bis 300 Millionen Euro.
  • Ein erhöhtes Beförderungsentgelt wird durch die Verkehrsbetriebe in jedem Einzelfall in Höhe von 60 Euro ausgesprochen. Wie hoch die Einnahmen hieraus sind, wird nicht veröffentlicht.
  • In der Regel stellen die Verkehrsbetriebe nach drei festgestellten Verstößen eine Strafanzeige. Diese drei Fälle werden bei der Polizei zu einem Verfahren.
  • Im Jahr 2022 wurden laut Polizeilicher Kriminalstatistik 133.915 Fälle wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) der Polizei gemeldet – hiervon 98 % der Fälle aufgrund von Beförderungserschleichung (Abs. 1 Variante 3).
  • Im Jahr 2021 erfolgten insgesamt 36.909 Verurteilungen aufgrund des Erschleichens von Leistungen. Dies waren 6 % aller Verurteilungen nach allg. Strafrecht und 11 % aller Verurteilungen ohne Verkehrsdelikte. Davon wurde in 1.724 Fällen (5 %) auf Freiheitsstrafe entschieden. Beim Rest handelt es sich um Geldstrafen.
  • In Nordrhein-Westfalen verbüßte in den Jahren 2010-2012 jede siebente Person, die wegen Fahrens ohne Fahrschein zur Geldstrafe verurteilt war, eine Ersatzfreiheitsstrafe. Wendet man diese Formel bundesweit an, so wären im Jahr 2020 5.800 Ersatzfreiheitsstrafen wegen § 265a StGB vollstreckt worden.
  • 114 Millionen EUR wendet der Staat jedes Jahr auf, um das Fahren ohne Fahrschein zu verfolgen, zu verurteilen und die Urteile zu vollstrecken.

Das Gesetzesvorhaben des Bundesministeriums für Justiz:

Das Erschleichen der Beförderung durch ein Verkehrsmittel (§ 265a Abs. 1 Variante 3 StGB)  soll zukünftig keine Straftat mehr sein und stattdessen durch einen Ordnungswidrigkeitstatbestand ersetzt werden (Eckpunktepapier des Bundesministeriums der Justiz 2023).

A. Argumente für das Gesetzesvorhaben

  1. Der Unrechtsgehalt des „Erschleichens von Leistungen“ ist so gering, dass es nicht angemessen ist, diese Handlung unter Strafe zu stellen. Für das Vorliegen einer Beförderungserschleichung müssen keine Zugangsbarrieren oder -kontrollen überwunden, Fahrscheine gefälscht oder Kontrollpersonen getäuscht werden. Der bloße Anschein, sich ordnungsgemäß zu verhalten, reicht aus. Das Strafrecht als die Ultima Ratio des staatlichen Zwanges hat nur gewichtige Formen schädigenden Sozialverhaltens als Unrechtstatbestände zu sanktionieren. Auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend, ist es nicht angemessen, dieses Verhalten mit Geld- oder Freiheitsstrafen zu sanktionieren.
  2. Die Kriminalisierung des Schwarzfahrens belastet die Gerichte und die Strafverfolgungsbehörden unnötig mit über 130.000 Verfahren und über 100 Millionen Euro pro Jahr, die Ressourcen binden, die bei der Verfolgung schwerer Straftaten sinnvoller genutzt werden könnten.
  3. Die aktuelle Rechtspraxis, insbesondere die harten Folgen der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe, trifft insbesondere sozial schwächere Personen. Diese sind aber besonders auf die Nutzung des Nahverkehrs angewiesen.
  4. Die Abschreckung vor dem „Fahren ohne Fahrschein“ ist durch die Androhung des erhöhten Beförderungsentgeltes in Höhe von 60 Euro ausreichend gewährleistet. Wer diese Summe nicht zahlt, dem drohen noch höhere Kosten durch die Gebühren von Inkassounternehmen. Zudem kann es zu Eintragungen bei der Schufa kommen, mit weiteren negativen Folgen bspw. bei der Wohnungssuche.
  5. Aufgrund dieser negativen Folgen des „Fahrens ohne Fahrscheins“ sind die zahlenden Fahrgäste auch nicht benachteiligt, wenn sie sich eine Fahrkarte kaufen.

B. Warum eine Ordnungswidrigkeit?

  1. Durch das Einordnen als Ordnungswidrigkeit wird das Fahren ohne Fahrschein nicht legalisiert. Es wird aber bezüglich der Sanktionierung adäquat, nämlich als Ordnungswidrigkeit, eingeordnet.
  2. Es bietet Behörden bei der Verfolgung einen Ermessensspielraum (Opportunitätsprinzip). Nicht jedes Verfahren muss verfolgt werden.
  3. A.4 und A.5 gelten entsprechend.
  4. Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe entfällt. Die Erzwingungshaft ist zwar möglich, kommt aber nur gegenüber Zahlungsfähigen zur Anwendung, nicht aber gegenüber erwiesenen Zahlungsunfähigen.
  5. Bei Ordnungswidrigkeiten hat das Personal der Verkehrsbetriebe noch das Recht nach § 229 BGB bzw. § 127 Abs. 1 und 3 StPO, die Personalien festzustellen oder die Verursacher bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten.

C. Gründe gegen einen Ordnungswidrigkeitstatbestand 

  1. Was gegen den Straftatbestand gilt, gilt auch hier: Das bloße „sich so verhalten wir alle anderen“ ist keine Handlungsbeschreibung im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG. Das Fahren ohne Fahrschein sei aufgrund der fehlenden Zugangsbeschränkungen der Verkehrsbetriebe, nur eine Nichtzahlen einer Schuld. Ein Ordnungswidrigkeitstatbestand ist nicht angemessen.
  2. Die Vertragsstrafe des erhöhten Beförderungsentgeltes liegt mit 60 Euro weit über den üblichen Bußgeldern beim „Falschparken“. Ein zusätzliches Bußgeld ist aus diesem Grund nicht erforderlich. Der Abschreckungseffekt ist gewährleistet. A.4 und A.5 gelten entsprechend.
  3. Nach § 229 BGB ist für das Festhalten zur Identitätskontrolle für die Kontrolleure der Verkehrsunternehmen, weder eine Straf- noch ein Ordnungswidrigkeitstatbestand notwendig.
  4. Für die über 130.000 Verfahren wären zukünftig Verwaltungsbehörden (Ordnungsamt, Polizei, …) zuständig, die bereits jetzt überlastet sind. Zudem werden die Gerichte zunächst in vielen Fällen in strittigen Fragen entscheiden müssen, wie bspw. über die Einstellung des Verfahrens, die Höhe der Bußgelder und die Anordnung der Erzwingungshaft. Auch kann sich diese Anzahl an Verfahren schnell verdreifachen, wenn nicht mehr wie bisher mehrere Fälle zusammengefasst werden, sondern einzeln als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden (wie beim Falschparken).
  5. Die Erzwingungshaft soll nicht angeordnet werden, wenn eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Allerdings ist dafür die Mitwirkung notwendig, indem die Person ihre Zahlungsunfähigkeit nachweist. Aus der Forschung zum Personenkreis der Ersatzfreiheitsstrafe ist bekannt, dass diese bei vielfältig vorliegenden sozialen Problemen, wie Obdachlosigkeit, Drogensucht oder fehlendem Sprachverständnis, nicht vorausgesetzt werden kann. Damit ist zu erwarten, dass weiterhin eine hohe Anzahl an Personen im Strafvollzug untergebracht werden muss.

 

 

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